Interview mit

Enissa Amani

Enissa Amani (42) wird in Teheran geboren und wächst in Frankfurt am Main auf. Nach dem Abitur 2003 (Schnitt: 1,8) studiert sie zunächst Jura und arbeitet in verschiedenen Bereichen. Mitte 2013 beginnt sie mit der Stand-up-Comedy. Es folgen Auftritte unter anderem bei „NightWash“, „TV total“, „Satire Gipfel“ und „StandUpMigranten“. Der Beginn eines rasanten Aufstiegs. Bereits zwei Jahre später wird sie mit dem „Deutschen Comedypreis“ in der Kategorie „Bester Newcomer“ ausgezeichnet. 2018 ist Enissa Amani die erste deutsche Comedienne, die auf Netflix ihr eigenes Comedy Special hat.

Bekannt ist Enissa Amani auch für ihr politisches Engagement und ihre Tätigkeit als Aktivistin. Sie setzt sich jederzeit für Menschenrechte und gegen Rassismus ein und nimmt Dis­kriminierung – egal in welcher Form – nicht hin. 2021 erhält sie für das von ihr geschriebene und produzierte Anti-Rassismus-Format „Die beste Instanz“ den Grimme-Online-Preis. Im März dieses Jahres wird sie mit dem „Barbie Role Model Award“ ausgezeichnet. Damit ehrt die Firma Mattel globale Meinungsmacherinnen, die „ihre Plattform für das Gute nutzen“.

Frau Amani, Sie sind eine Frau, die bei Themen wie Menschenrechte, Rassismus oder AfD immer wieder ihre Stimme erhebt – laut, mutig, couragiert, provokant. Wie würde Enissa Amani Enissa Amani beschreiben?

(lacht) Das ist eine schwierige Frage. Ich habe ja als Comedienne angefangen, was ich auch immer noch mit Herzblut gerne mache, aber ich weiß, dass die meisten Menschen mich inzwischen mehr als Menschenrechtsaktivistin wahrnehmen, aber ich bin definitiv beides. Ich bin immer noch sehr verliebt in Comedy als Kunstform. Das andere ist aber etwas, das mir in die Wiege gelegt wurde durch meine Eltern. Es geht ja auch ein bisschen ineinander über, weil ich in der Comedy unter anderem auch Menschenrechtsthemen angesprochen habe.

Generell sehe ich mich als Künstlerin, weil ich auch viele Texte schreibe, Sachen kuratiere, ich habe einen Kurzfilm gemacht, schreibe an vielen Projekten mit, ich habe eine jüngere Künstlerin, die unter meinen Flügeln groß geworden ist. Alles, was mit Kunst und mit Schreiberei zu tun hat. Ich sage persönlich auch eher Künstlerin als Comedienne, weil ich in vielen Kunstbereichen etwas mache, aber mein Kern ist schon definitiv Stand-Up.

Wenn ich irgendwo hingehe und es da ein offizielles Schild gibt, dann steht da immer „Künstlerin und Menschenrechtsaktivistin“ oder „Stand-Up Comedienne und Menschenrechtsaktivistin“ – und das finde ich toll. Es ist erwachsener und reifer, dein Schaffen für dich sprechen zu lassen, als Leuten hinterherzurennen, wie sie dich bitte nennen sollen. Und daran arbeite ich halt.

Haben Sie eigentlich ein dickes Fell? Schließlich sind aufgrund ihrer Statements in den Sozialen Medien Shitstorms vorprogrammiert.

Jetzt ist es so, ich habe wirklich seit ein paar Jahren eine ganz komische Kurve. Ich kann nicht einmal genau sagen, woran das liegt, aber ich werde mit extrem viel Liebe und Respekt überschüttet. Ich meine jetzt nicht nur Fans, die mir seit zehn Jahren folgen oder die mich vielleicht einfach nur hübsch finden. Ich meine auch die, die mir einfach ganz viel Respekt für mein Tun entgegenbringen. Natürlich ist das Andere immer auch da, aber es ist bei mir tatsächlich sehr wenig. Aber das Wenige ist extrem. Es wird mir mit Mord oder Verfolgung gedroht, manche schreiben „Verpiss dich aus unserem Land“ oder so. Und dann habe ich die, die mir schreiben „Danke für deine Courage, danke für deinen Mut und danke für deinen Gerechtigkeitssinn“. Seit Jahren werde ich mit sehr viel Anerkennung überschüttet. Aber die mir drohen, machen auch etwas mit mir, das gebe ich zu. Da habe ich insgesamt mehr Unruhe, mehr Ängste, das hatte ich früher noch nicht.

Ich bin grundsätzlich jemand, der Kritik sehr ernst nimmt. Ein Beispiel: Sagen wir, ich habe irgendwas da draußen gesagt oder gemacht und jetzt würde ich dafür von 98, 90 oder sogar nur 70 Prozent Kritik bekommen, dann würde ich mir ernsthafte Gedanken machen. Allerdings nicht, wenn es, sagen wir, nur auf einer AfD-Plattform steht oder irgendwas Radikales ist. Dass die mich dann alle nicht mögen, ist mir klar. Wenn ich merke, „Hey, da ist jemand ganz konstruktiv und ganz ruhig“, dann nehme ich die Kritik sehr ernst. Das habe ich von meinem Vater gelernt. Ich glaube, als Mensch – egal ob bekannt oder nicht – musst du lernen, Dinge wie Wut kommen immer von dir. Es hängt von dir ab, ob dich etwas wütend macht oder nicht, ob du das zulässt oder nicht und natürlich gibt es, wenn du bekannt bist, viel mehr Meinungen. Ich bin jemand, der diese Meinungen sehr ernst nimmt.

Was bereitet Ihnen aktuell Sorgen?

Es macht mir große Sorge, wenn ich höre, wir haben 30 Prozent in Deutschland, die die AfD wählen. Und ich weiß, dass nicht jeder der Wähler rechtsradikal ist, aber ich weiß, dass diese Partei das ist und dass die Wähler oft manipuliert werden und dann halt sagen, „Ah, super die Partei liefert mir ein gutes Feindbild oder liefert mir einen Grund, sauer zu sein.“ Obwohl das nicht die wirklichen Gründe sind. Die Probleme liegen ja ganz woanders bei uns in der Gesellschaft. Und ich gebe zu, obwohl ich das weiß, obwohl ich diese Mechanismen kenne, macht mir das Angst.

Sie haben nach dem Abitur zunächst Jura und dann Literatur­wissenschaften studiert.

Das stimmt nicht so ganz. Ich habe mich für Literaturwissenschaften einschreiben wollen, habe mich dann aber nicht eingeschrieben. Ich weiß, das steht überall falsch. Jura habe ich tatsächlich auch studiert, habe auch meine Zwischenprüfung gemacht. Literaturwissenschaften war das nächste Ziel, dann kam aber die Comedy dazwischen.

Gab es einen Punkt oder ein Erlebnis, an dem Sie festmachen können, dass ein Studium nicht der richtige berufliche Weg für Sie ist?

(lacht) Ja, hatte ich. Ich hatte das Jurastudium bereits abgebrochen und wollte mich im neuen Semester für Literaturwissenschaften einschreiben. Ich habe dann in einer Parfümerie Vollzeit gearbeitet, wo ich vorher sozusagen studentische Aushilfe war. Dann hat es aber irgendwann in meinem Kopf klick gemacht. Ich hatte an einem Tag eigentlich einen besonders guten Job gemacht. Ich hatte ganz tolle Verkaufszahlen und alle Kundinnen wollten immer zu mir und sagten „die ist so ehrlich und die sagt mir immer wirklich, welches die beste Wimperntusche ist“ und so weiter. Dann ist eine Kundin weggegangen und hat gesagt „Sie machen das so toll, sie können so toll mit Menschen sprechen und vielen Dank und ich komme immer wieder gerne zu Ihnen zurück.“ Und dann hat es klick gemacht. Ich habe gedacht: „Du wirst höchstwahrscheinlich bei Literaturwissenschaften den gleichen Fehler machen wie beim Jura-Studium. Im Endeffekt hast du nicht die Disziplin, zu sagen: „Ich will das aber in so und so vielen Jahren auch fertig haben“. Ich habe gesehen, dass, wenn ich nicht wirklich eine richtige Disziplin entwickle, ich für immer in diesem Verkaufsjob bleibe. Lustigerweise kam nach dem Kompliment das Gefühl hoch: „Oh Gott, ich werde für immer Wimperntusche verkaufen“. Ich habe zu mir gesagt, „Enissa, du machst dir selber was vor.“ Du schreibst dich ein, dann schreibst du gute Noten, aber irgendwie entwickelst du nicht diese Disziplin mit einem festen Ziel. Und im Endeffekt, wird das dazu führen, dass du ewig in einem Job hängen wirst, der dich zwar deine Miete zahlen lässt, aber du kommst nicht weiter, wenn du nicht endlich eine klare Zielsetzung hast.

Das war der Moment. Ich bin von der Parfümerie nach Hause gefahren und habe gedacht „Was macht mich wirklich glücklich? Wo könnte ich wirklich Disziplin entwickeln?“. Dann kam dieser ganz klare Gedanke, „ich schreibe ein Buch“. Das war ganz klar. Dann war für mich ganz klar, ich werde Schriftstellerin. Und auch wenn kein Mensch jemals meine Bücher liest und wenn das nur drei Menschen kaufen und ich für immer in einem Ein-Zimmer Apartment leben muss, aber damit bin ich happy. Das war wirklich für mich so ein Schlüsselmoment. Als ich beschlossen habe, ich werde Schriftstellerin, habe ich einen Text geschrieben und bin auf eine kleine Bühne gegangen, um mal zu gucken, wie dieser Text ankommt – wirklich mit dem Ziel Schriftstellerin und nicht mit dem Ziel Comedienne zu werden. Das war im April 2013. Im Januar 2014, also keine acht Monate später, war ich bei Stefan Raab.

Ich glaube daran, dass, wenn du sagst, „Das ist meine Erfüllung. Auch wenn ich damit die eine oder andere Sachen verliere“, andere Türen aufgehen werden. Ich weiß, dass ich mein ganzes Leben mit dem Schreiben verbunden sein werde. In jeder Form, ob es Comedy ist, ob es politische Texte sind, ob es ein Buch, ein Roman oder ein Artikel ist: Das Schreiben ist mein Zuhause. Der Erfolg kam, als ich aufgehört habe zu denken, was man machen muss.

Sie haben bereits in vielen Bereichen gearbeitet. Was steht noch auf Ihrer beruflichen To-do-Liste des Lebens?

Ich möchte definitiv einmal einen Roman schreiben. Ich hoffe, dass es mehrere werden, aber das ist etwas, was auf meiner Bucket-Liste steht. Ich habe riesen Respekt davor. Ich bin mit Romanlesen groß geworden. Meine großen Helden waren Gabriel García Marques, der „100 Jahre Einsamkeit“ geschrieben hat, oder Isabel Allende, die „Das Geisterhaus“ geschrieben hat. Viele lateinamerikanische Schriftsteller, aber auch Tolstoi und Dostojewski gehören dazu. Ich habe halt dieses große Glück, dass mein Vater als Literat mich als Kind schon so damit gefüttert hat, was man lesen muss. Und dass es damals als ich 14 oder 15 war – Gott sei Dank – kein Social Media gab, keine Internethandys.

Und ich würde gerne in den Iran reisen. Seit ich 22 bin, war ich nur einmal dort. Ich merke schon, dass mir das sehr fehlt. Vor allem seit mir bewusst geworden ist, dass, falls diese Regierung nicht stürzt, ich nie wieder dorthin kann. Vorher hat mir das gar nicht so gefehlt. Aber als ich das irgendwann gespürt habe – ich war ja zweimal da für zwei Wochen – da war mein Vater schon hochbesorgt. Und nachdem ich auf einer riesigen Demo hier vor dem Konsulat in Frankfurt war, hat mein Vater gesagt: „Nie wieder!“ Mein Vater hat ja nach unserer Flucht seine Familie nie wieder gesehen. Er hat hier keine Geschwister, keine Cousins, keine Cousinen, er hatte nur seine Frau und mich und nach der Scheidung nur noch mich.

Mein Vater hat einfach Panik, selbst wenn ich nur in die Nähe des Iran fliege. Wenn ich beispielsweise in der Türkei Urlaub mache, dann bekommt mein Vater schon Panik weil es ein Nachbarland des Irans ist. Dann sagt er „Muss es denn die Türkei sein, kannst du nicht nach Italien fliegen“ und dann sage ich „Papa, ich glaube nicht, dass mich die iranische Regierung jetzt in der Türkei auf der Straße entführt“. Aber daran merkt man, wie tief diese Ängste in ihm sitzen.

Und ich habe einen kleinen Traum. Sollte der Iran noch eine Demokratie werden und diese Diktatur stürzen: Es gibt einen ganz wundervollen Platz. Wenn man „Iran“ und „Fotos“ eingibt, dann kommt immer ein weißer Turm, sieht auch so ein bisschen aus, wie bei Herr der Ringe, wenn dann alles gut ist in Gondor. Dieser Platz heißt Azadi Platz. Azadi bedeutet „Freiheit“ auf persisch, also es ist der Platz der Freiheit. Paradoxerweise heißt der immer noch so, obwohl es eine Diktatur ist. Und ich habe den kleinen Traum, dort mal eine Rede für ein befreites Iran halten zu dürfen. Warum ausgerechnet ich da eine Rede halten sollte, kann ich nicht beantworten (lacht). Es gibt so viele berühmtere Iraner und Iranerinnen als ich in der Welt.

Ich liebe ja New York. Ich würde schon gerne mal irgendwann auch in New York eine riesige Show spielen. Ich habe ja da so kleine Mini-Shows, aber die sind halt wirklich mini, da sind dann 100 Leute da.

Sie sind mit Ihren Eltern als kleines Kind aus dem Iran nach Deutschland gekommen. Was ist für Sie Heimat?

Ich war eigentlich mein ganzes Leben auf der Suche nach Heimat. Ich dachte immer, dass mit mir was nicht stimmt, weil ich dieses Gefühl nicht habe. Ich liebe Frankfurt sehr, das kann ich schon ehrlich sagen. Aber ich habe nicht das Gefühl, was viele meiner Freunde und Freundinnen haben, die sehen die Skyline von Frankfurt und denken „Oah, Zuhause – Heimat“. Dieses Gefühl habe ich zu meiner Wohnung. Und die könnte überall sein. Ich habe keine Heimatgefühle. Warum weiß ich nicht. Klar, ich kann eine Stadt liebhaben oder eine Wohnung oder sagen, in der Ecke habe ich mich wohlgefühlt oder zu der Zeit in meinem Leben habe ich mich wohlgefühlt. Ich könnte auch in Nicaragua leben und würde das gleiche Gefühl bekommen, wenn ich da meinen Schlüssel in meine Wohnungstür stecke, wie jetzt hier in Frankfurt. Das ist doch eigentlich eine Stärke, aber ich habe es ein Leben lang als Schwäche empfunden, weil ich dachte, „Mensch, das gehört dazu, das muss man haben und mir fehlt was“. Ich habe Frankfurt lieb, das ist mir wichtig zu sagen und ich habe zehn Jahre in Köln gewohnt, ich habe Köln auch lieb. Inzwischen bin ich auch so oft in Berlin, ja gut, Berlin ist schwierig liebzuhaben, aber Berlin ist cool (lacht). Oder New York, das ist für mich die coolste Stadt der ganzen Welt, aber ich habe auch dort nicht das Gefühl „Heimat“.

Als eine von acht Frauen weltweit haben Sie in diesem Jahr Ihr eigenes Barbie-Modell bekommen. Was haben Sie gedacht, als Sie davon erfahren haben?

Ich habe gedacht, das ist ein Fake. Niemals habe ich gedacht, ist das wirklich Barbie. Barbie hatte in diesem Jahr durch den Film nochmal eine ganz andere Positionierung bekommen. Viele haben auch verstanden, bei aller berechtigter Kritik, was auch Barbie für die Frauenbewegung gemacht hat. Auch ich. Ich muss ehrlich sagen, dass auch ich nicht wusste, dass Barbie die erste Frauenpuppe der Welt war, die Berufe hatte, wo Frauen diese Berufe noch nicht haben durften. Barbie durfte in Amerika Auto fahren und hatte ein eigenes Auto. Da durften Amerikanerinnen noch keinen Führerschein machen. Das muss man sich mal überlegen. Das war neu und hat auch für kleine Mädchen, die damit gespielt haben, etwas verändert, weil die dann dachten, „Moment mal, die kann Auto fahren, warum darf ich denn kein Auto fahren?“ Und deswegen muss ich sagen, zu dieser Zeit war das schon revolutionär. Dass Barbie aber auch andere Merkmale hatte, die man sehr kritisieren kann, beispielsweise, dass die alle die gleiche 0815-Figur hatten und alles makellos war, das ist natürlich sehr kritisch zu sehen. Daran haben sie aber hart gearbeitet. Sie sind heute die diverseste Puppe, die es überhaupt gibt auf der Welt – mit allen Körperformen, allen Haarfarben, alle Hautfarben, alles. Aber was ich nicht wusste, ist, dass Barbie ursprünglich mal so ultrafeministisch gestartet ist.

Als dann mein Manager anrief und sagte „Barbie hat angerufen, die machen eine Puppe nach dir“, dann habe ich gesagt „Was?“ und dann habe ich gesagt, „Das ist ein Fake“. Er meinte „Nein, das ist die Mattel-E-Mail“ und ich sagte nur „Nein, das kann nicht sein.“ Er sagte, dass auch ein paar andere Frauen wie Helen Mirren, Viola Davis und Kylie Minogue dabei wären. Also für mich war es immer mehr ein Fake. Die haben doch niemals Helen Mirren und Viola Davis mit ihren fünf Millionen Oscars und dann mich angefragt. Ich habe es wirklich nicht gecheckt. Und dann war es aber so, dass die Anna von Mattel sagte „Enissa, wir waren da, als du die Rede im Hotel du Rome gehalten hast.“ Und dann habe ich gesagt „Boah“. Ab dem Moment wusste ich, dass das echt sein muss. Ich halte meine Reden immer frei, deswegen kann ich nie wirklich vorhersagen, wo die hingehen. Ich kann gut aus dem Herzen raus sprechen, vor allem wenn es um Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden geht. Ich hatte an dem Abend ein blaues Outfit an, was am Ende auch die Barbie hatte. Anna meinte, „du hast die Rede gehalten und wir hatten alle Gänsehaut“. Und dann hat sie gesagt: „Wir haben dich seit Jahren auf dem Schirm, aber die Rede war es, wo wir dachten, sie wird die nächste Barbie.“ Und dann dachte ich „unglaublich“.

Ich habe in den ersten zwei Wochen dieses Jahres drei Awards bekommen und bei allen haben sich die Macher auf diese Rede bezogen. Da hat sich wieder bewahrheitet, dass man Dinge einfach machen muss, die dich erfüllen. Mich erfüllt das, irgendwohin hinzugehen und zu sprechen.

Ich wusste ja nicht, dass es diese Barbie, diese „Role Model-Barbie“ für Vordenker, seit zehn Jahren gibt. Dann habe ich gefragt: „Haben das schon einmal Deutsche bekommen?“ Wenn ich es nicht falsch sage, bin ich die dritte. Was ich aber hundertprozentig weiß, ist, dass die erste deutsche Barbie Angela Merkel war. Ich fand es auch toll, dass es auf so vielen amerikanischen Seiten gepostet wurde. Und die ganzen Amis haben drunter geschrieben: „Wer ist die?“ (lacht). Das hat mich geärgert, aber ich fand es auch total süß. Ich dachte, die wissen natürlich nicht, wer ich bin. Und dann haben manche geschrieben „Das ist bestimmt eine Kardashian, die einfach nur eine Influencerin ist oder einfach irgendeine Figur“. Und dann haben aber die Deutschen, voll süß, drunter geschrieben: „Das ist Enissa Amani, das ist eine Menschenrechtsaktivistin.“ Und ich fand das so toll. Das macht mich ganz stolz.

Übrigens: Alle Preise, die ich bekommen habe, stehen bei uns im Büro, aber Barbie steht bei mir zuhause auf meinem Schminktisch. Ich dachte, das ist ein schöner Platz, die steht da, wo ich mich zurecht mache. Ich gebe zu, natürlich ist es auch dieses Mädchen in mir. Ich bin nunmal damit groß geworden, dass Barbie das Schönste war, was es gab. Und jetzt zu denken, ich bin eine Barbie, das war schon sehr komisch. Dass Barbie mir jetzt auf Instagram folgt, das ist auch komisch, aber es ist so toll.

Was macht Sie glücklich?

Eigentlich würde ich am liebsten so etwas sagen wie Frieden, also auch Frieden in mir selbst, aber ich finde es halt sehr kitschig, wenn ich jetzt so pathetisch antworte. Mich macht eine warme Suppe glücklich. Und eine gute Serie. Ich gucke auch gerne eine gute Serie zum zehnten Mal wieder von vorne. Ich liebe warme Suppen und gute Serien.

Für den großen Pathos also Frieden und für den kleinen warme Suppe mit einer guten Serie.

Ja, das ist ja auch Frieden, das ist mein Frieden, wenn ich Zuhause weiß, es ist alles gut, ich hatte vielleicht einen stressigen Tag und jetzt kann ich mir eine Suppe machen, eine Hühnersuppe oder irgendeine Suppe und eine Serie gucken, das ist eine große Freude für mich.

Und worüber können Sie herzhaft lachen?

Das ist schwierig. An Comedians ist mir aufgefallen, dass die wütendsten für mich am lustigsten sind. Ich weiß nicht warum. Mich machen die fix und fertig, die schon mit Wut auf die Bühne kommen und dann mit einer großen Wut sagen „Was ist das denn“, dann lache ich Tränen. Auch wenn ich auf der Bühne so einen Wutanfall kriege, dann kassiere ich die meisten Lacher. Aber es muss natürlich wütend-lustig sein, nicht wütend-böse.

Über was können Sie sich maßlos aufregen?

Da muss ich wirklich sagen: Ungerechtigkeit. Es macht mich einfach wütend, dass beispielsweise ein armer Mensch in Deutschland Steuern zahlt, die ein reicher Mensch mit einem Privatjet umgehen kann. Ich habe letztens erst wieder in einem Podcast mir die Zahlen angehört, dass wir Milliardäre haben, die teilweise nur zwei Prozent Steuern zahlen, während jeder normale Mensch ein Vielfaches zahlt. Und ich rede nicht von den Millionären, ich rede jetzt von in ganz Deutschland ungefähr 24 oder 25 Vermögen insgesamt. Also 25, nennen wir es Familien oder Vermögen, haben wir. Wenn die nicht zwei Prozent, sondern 20 Prozent zahlen würden, dann hätten wir so viel Geld in Deutschland, dass unsere Schulen die modernsten, coolsten Schulen der Welt wären. Und Bürgergeld wäre für uns ein Witz. Und das Lustige ist, dass diese Menschen, nicht eine Villa, nicht ein Auto und nicht eine Yacht verkaufen müssten. Ab dem Moment, ab dem du Milliardär bist, lebst du ja von deinem Ertragszinsen. Wir sprechen heute lieber über fünf kriminelle Klans, anstatt über Milliardäre, weil wir halt aufgewachsen sind damit. Wir werden in kapi­talistischen Ländern dazu erzogen, dass wir immer denken, Geld ist verdient. Aber es gibt keinen Milliardär, der ethisch ist, beziehungsweise ethisch zu seinen Milliarden gekommen ist. Und das ärgert mich.

Leute nehmen mich immer so wahr, als würde ich mich nur für Rassismus einsetzen oder für Frauen. Das kann aber auch ein ganz anderes Thema sein. Wenn ich denke, „Mein Gott, warum sieht man diese Ungerechtigkeit nicht“, dann bringt mich das auf die Palme. Das kann gegenüber Behinderten sein, das kann für den Tierschutz sein. Das können auch zwei einzelne Menschen sein, die sich auf der Straße streiten. Wenn ich das Gefühl habe, da ist ein enormes Ungleichgewicht, zwischen diesen beiden Parteien, dann macht mich das wütend. Und das kommt von meinem Herzen, dass mich Ungerech­tigkeiten wütend machen.

Ich hatte mit 14 einen wirklich fantastischen Lehrer. Der erste Mensch, der mir beigebracht hat, dass die Zahlen in der polizeilichen Kriminalstatistik falsch sind, weil dort auch Aufenthaltsdelikte drin sind, weil nicht gemessen wird relativ zu den Menschen, die es da gibt, weil die Polizei die Zahlen auch verändern kann, je nachdem, wo sie nach Kriminalität sucht, weil Steuerhinterziehung da nicht mit reinkommt und so weiter und so fort.  Der Mensch war mein Deutschlehrer, Herr Dengler, in der neunten Klasse. Der hat uns damals erzählt, „Lasst euch niemals damit manipulieren, dass man euch erzählt, Ausländer sind kriminell“. Damals waren wir insgesamt nur fünf Ausländer auf der Schule, und ich hatte nur deutsche Klassenkameraden. Und 30 Jahre später sitze ich in einer Talkshow und rede über den gleichen Mist, den mir der Herr Dengler in der neunten Klasse beigebracht hat.

Als Kind hat man mir auch beigebracht, dass die Polizei Menschen siezen muss und auch die Menschen die Polizei siezen müssen. Ich bin einmal mit meinem Schulrucksack auf dem Weg zum Klavierunterricht an der Frankfurter Oper ausgestiegen. Dort waren Polizisten und mehrere Jungs, die mit den Händen an der Wand standen und abgetastet wurden. Ich habe nur gehört, wie der Polizist zu den Jungs sagt „Und DU hältst jetzt mal die Schnauze“ oder so. Und ich bin mit meinen 13 Jahren hingerannt und hab gesagt „Sie dürfen die nicht duzen. Sie müssen die siezen und die müssen Sie auch siezen. Und sie dürfen die nicht duzen, nur weil das Ausländer sind.“ Und dann hat der Polizist gelacht. Das bin einfach ich. Also diese 13-jährige Enissa, das bin ich einfach immer noch. Das platzt aus mir heraus. Egal, ob ich berühmt bin, nicht berühmt bin, ob ich gerade Geld habe, kein Geld habe, ob ich in Deutschland bin oder in einem ganz anderen Land – ich kann es nicht ab, wenn ich was sehe, wo ich das Gefühl habe, da passiert eine Ungerechtigkeit. Und noch schlimmer wird es, wenn ich merke, da ist jemand, der sich nicht wehren kann, der nicht die Sprache oder den Mut hat. Wenn irgendwas wirklich unfair wird, dann renne ich da einfach durch und werde zu einer Lokomotive oder wie einem Bulldozer.

Menü schließen
Nach oben

Wir nutzen Cookies, um Ihnen die bestmögliche Nutzung unserer Webseite zu ermöglichen und unsere Kommunikation mit Ihnen zu verbessern. Mit Ihrer Zustimmung akzeptieren Sie die Verwendung von Cookies in Übereinstimmung mit unseren Datenschutzbestimmungen.

Privacy Settings saved!
Datenschutzhinweis

Wir nutzen Cookies, um Ihnen die bestmögliche Nutzung unserer Webseite zu ermöglichen und unsere Kommunikation mit Ihnen zu verbessern. Treffen Sie hier Ihre persönliche Präferenz:

Diese Cookies werden genutzt, um Funktionen der Website zuzulassen, die Ihnen eine auf Ihre Interessen zugeschnittene Nutzung ermöglichen. Des Weiteren hilft uns die Analyse des Nutzerverhaltens ebenfalls, die Qualität unserer Webseite zu verbessern.

Diese Cookies werden genutzt, um Funktionen der Website zuzulassen, die Ihnen eine auf Ihre Interessen zugeschnittene Nutzung ermöglichen. Des Weiteren hilft uns die Analyse des Nutzerverhaltens ebenfalls, die Qualität unserer Webseite zu verbessern.
  • _ga
  • _gid
  • _gat

Alle ablehnen
Alle akzeptieren