Sie sind in Bielefeld geboren und aufgewachsen. Wie war für einen jungen Menschen mit Migrationshintergrund das Leben in Bielefeld?
Das Leben in Bielefeld war alles in allem sehr entspannt. Ich bin in einer Ecke mit hohem „Migrantenanteil“ aufgewachsen. Bei uns war die Welt noch in Ordnung. So ein bisschen wie bei „Unsere kleine Farm“, nur ohne Pferde. Und die Lehrer und der Sozialarbeiter im Jugendzentrum waren unsere Fenster zu Deutschland.

Sie haben an der Universität Bochum Jura studiert. Hat die Comedy eine womöglich erfolgreiche Karriere als Jurist verhindert?
Ich glaub’s nicht! Endlich lern ich jemanden kennen, der das Wort „womöglich“ benutzt. Das hat sogar im Jurastudium keiner gesagt, und die benutzen da Wörter wie „etwaige“ und „obsolet“. Aber gut, ich schweife ab. Mein Vater war der Meinung, dass ein Anwalt in der Familie sicher nicht verkehrt wäre. Er war sich sicher, dass wir uns dann die Rechtsschutzversicherung sparen können. Aber heute wissen wir natürlich beide nicht, ob es eine erfolgreiche Juristenkarriere geworden wäre.

Comedian, Kabarettist oder politischer Unterhaltungskünstler, wie Ottfried Fischer Sie in einer Laudatio nannte? Was trifft am besten auf Sie zu und wie würden Sie sich selbst bezeichnen?

Ich habe mich sehr über die Laudatio von Ottfried Fischer gefreut. Man kann sogar sagen, dass ich mich immer noch darüber freue. Am ehesten würde ich mich als Comedian bezeichnen. Oder als Komiker. Ich finde, das ist ein sehr cooles Wort.

Stimmt es, dass Sie die deutsche Nationalhymne als Klingelton auf Ihrem Handy haben? Wenn Ja, wie reagiert dann ihre Umwelt, wenn das Handy klingelt?
Ja, sogar mit Gesang. Wenn ein Anruf kommt und die Melodie der Hymne startet, dazu noch eine sehr erhabene Gesangsstimme, ist an Reaktionen alles dabei. Einige kriegen Gänsehaut, andere schauen leicht überfordert und fragen sich, wo ich das Handy wohl herhabe. Noch hat keiner mitgesungen, aber wer weiß, vielleicht kommt das ja demnächst.

Zu Ihren Lieblingsbeschäftigungen gehört das Zugfahren. Warum?
Ich muss ja irgendwie von A nach B kommen. Und 500 km mit dem Zug sind definitiv entspannter als 500 km mit dem Auto. Ja, sehen viele anders, und ja, sie haben auch gute Argumente auf ihrer Seite, aber ich bin Zugfan. Da kann man zwischendurch auch mal was lesen oder schlafen. Sollte man als Autofahrer eher vermeiden.

Ihr neues Soloprogramm heißt „Wir beruhigen uns“. Worüber können Sie sich maßlos aufregen?
Spontan fallen mir eher banale Sachen ein, wie zum Beispiel draußen erst merken, dass ich die Maske vergessen habe. Oder mit dem kleinen Zeh ganz außen voll motiviert gegen einen Türrahmen rennen. Braucht auch kein Mensch. Aber eigentlich wissen wir alle, dass es meistens nichts bringt, sich über Sachen aufzuregen. Ich habe mich ja mehrmals aufgeregt, aber der Zeh bleibt ab und an immer noch am Türrahmen hängen. Vielleicht sollte ich einfach mal handeln und den Türrahmen entfernen. 

Abdelkarim (40), als Sohn marokkanischer Einwanderer in Bielefeld geboren und wohnhaft in Duisburg, bezeichnet sich selber gerne als „Marokkaner Ihres Vertrauens“. Der Comedian, Kabarettist und Fernsehmoderator studierte nach Hauptschule und Abitur unter anderem Jura an der Universität Bochum. Seit 2010 ist er auf der Bühne unterwegs und konnte bereits zahlreiche Preise einheimsen, darunter den Bayerischer Kabarettpreis in der Sparte „Senkrechtstarter“ (2015) und den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Beste Information“ (2018). Im vorigen Jahr wurde er für seinen YouTube-Kanal „Abdelkratie“, der sich mit den Themen Demokratie und Grund-gesetz auseinandersetzt und die Grundlagen der Demokratie erklärt, mit der Goldenen Kamera in der Kategorie „Best Newcomer“ ausgezeichnet. Seit 2008 ist Abdelkarim Stammgast in fast allen gängigen Kabarett- und Comedy-Formaten im Fernsehen. Aktuell ist er mit seinem Soloprogramm „Wir beruhigen uns“ auf Tour, dem dritten nach „Zwischen Ghetto und Germanen“ und „Staatsfreund Nr. 1“. In seiner neuen vierteiligen Comedy-Show „TEAM ABDEL“ (ab 15.11. montags um 22.15 Uhr im WDR Fernsehen und in der ARD Mediathek) nimmt er den Persepektivwechsel auf das Land, in dem er geboren wurde, vor. Unterstützt wird er von seinem Team von Comedians und bringt damit ein neues gesprächswertiges und relevantes Projekt an den Start.

Und worüber können Sie herzhaft lachen?
Ich lache über alles mögliche. Ganz egal, ob es ein lustiger Film ist, lustige Sachen auf der Bühne oder Sachen im Freundeskreis. Von Klamauk bis hochpolitische Polit-Satire, wenn etwas lustig ist, lache ich darüber. Und ich lache auch über Sachen, die mir passieren. Vor kurzem hatte ich im Zug ein tragisches Erlebnis. Ich war auf dem Weg nach Münster und saß sehr gemütlich, das rechte Knie an den Sitz vor mir gelehnt und habe ein Fußballspiel geguckt. Auch die Vorberichte, also das ganze Programm. Alles in dieser Position. Irgendwann lief die 40. Minute und ich höre, wie ein Fahrgast zum Anderen sagt: „Ja, Münster Hauptbahnhof“. Direkt danach merke ich, wie der Zug hält. Ich dachte mir nur „Ach du Schande, ich muss raus!“. Ich wollte schnell aufstehen, aber keine Chance. Ich hab dann schnell einsehen müssen, dass mein rechtes Bein eingeschlafen ist, und zwar komplett. Ich hab meinen Reisekoffer von der Ablage runtergerissen. Dazu noch mein lautes Atmen und leises Schreien. Die Fahrgäste schauen alle in meine Richtung und sie sehen einen verzweifelten und taumelnden Marokkaner mit schwarzer Lederjacke und pinkem Reisekoffer. Ich bin da wie ein Zombie zur Tür geschlichen und hab gerufen „Bitte die Tür auf halten, ist wichtig, mein Bein ist eingeschlafen“. Und da haben gleich drei Leute darauf geachtet, dass die Tür aber sowas von auf jeden Fall auf bleibt. Die haben sich gedacht: „Egal, was hier grad abgeht und egal, was für Ausreden der hier raushaut, es ist besser, wenn wir ihn nicht  mehr im Zug haben.“ Womöglich.

Wie sind Sie durch die Corona-Krise gekommen? Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Das war bis jetzt eine Zeit voller Aufs und Abs. Am Anfang war noch die unbegründete Hoffnung, dass das alles schnell vorbei ist. Dann kam ein langes kreatives Loch und ein bisschen Kadaver-Lifestyle. Es ging gefühlt nur noch darum, nicht zu verwahrlosen. Aber dann kam zum Glück irgendwann eine Jetzt-erst-recht-Stimmung in der Kulturbranche. Viele Theater haben versucht, sich mit kreativen Veranstaltungskonzepten gegen die Tragödie zu stemmen. Ich muss dazu sagen, dass ich großes Glück hatte, aber leider hat die Pandemie einen Großteil der Kulturbranche sehr hart getroffen. Kulturbranche, das sind ja auch alle Menschen „hinter der Bühne“, ohne die es ein „auf der Bühne“ gar nicht geben würde. Und da, das muss man leider so ausdrücken, haben die Verantwortlichen die Kulturbranche im Stich gelassen. Das war quasi ein Berufsverbot und jeder soll sehen, wie er klarkommt. Dabei geht es übrigens überhaupt nicht um die Maßnahmen gegen das Virus. Die Kulturbranche hat mit am besten und schnellsten die Maßnahmen umgesetzt.

Wobei können Sie abschalten? Am besten bei einem laufenden Fernseher. Spazieren ist auch perfekt zum Abschalten.

Auf der Bühne finden Sie durchaus kritische Worte. Haben Sie keine Sorge vor einem Shitstorm? Oder bestätigt Ihnen ein Shitstorm, ein Thema richtig angepackt zu haben? Ein Shitstorm sagt ja zum Glück nicht automatisch etwas über den Beitrag, der zum Shitstorm geführt hat. Viele Wege führen zum Shitstorm und in der Regel hat man darauf gar keinen Einfluss. Unabhängig davon, ob ein Shitstorm auf berechtigten, wichtigen und nachvollziehbaren Argumenten fußt oder nicht, bin ich sehr skeptisch, ob ein Shitstorm in der Sache einen Mehrwert hat. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, aber meistens sorgen Shitstorms nur für verhärtete Fronten und die verschiedenen Parteien beharren aus Prinzip auf ihrem Standpunkt. Ich mache mir keine Gedanken, ob es zu einem Shitstorm kommen kann oder nicht, weil man darauf wie gesagt eh keinen Einfluss hat.

Hat es ein Comedian mit Migrationshintergrund leichter, harte Themen anzupacken, sprich provokanter mit Themen wie beispielsweise Alltags-Rassismus umzugehen? Ich als Deutscher mit Einwanderungsoptik kann natürlich viel eher über Alltagsrassismus reden als ein Urdeutscher, weil ich hier und da Geschichten erlebe, die ein blonder Stefan eher nicht erlebt. Aber es gibt zum Glück unzählige Beispiele für Comedians und Kabarettisten, die harte Themen anpacken oder provokant mit Themen umgehen. Und da findet man alle Hautfarben und die verschiedensten Herkunftsecken.

Im November ist ihre vierteilige Comedy-Show „TEAM ABDEL“ gestartet. Worauf dürfen sich die Zuschauer freuen, die Ihre Sendung noch nicht kennen? Team Abdel besteht aus Comedians und Kabarettisten, die sich auf den Weg machen und Fragen stellen. Ganz egal, ob im Bundestag, bei der Wohnungssuche oder beim Vegan-Metzger, wir versuchen, Deutschland endlich zu begreifen. Außerdem lade ich erstklassige Experten in die Zentrale ein, damit die Sachlichkeit nicht zu kurz kommt. Team Abdel ist eine Unterhaltungsshow, aber wenn uns etwas extrem auf den Nägeln brennt, reden wir auch mal über ernste Themen.

In „Team Abdel“ schaut Comedian Abdelkarim aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Land, in dem er geboren wurde und wirft einen satirischen Blick auf aktuelle Themen.

Unterstützt wird er dabei von seinem Team aus Comediennes und Comedians, die – wie er selbst – alle wegen ihrer inter­nationalen Biographien das Leben in Deutschland aus einem anderen Blickwinkel betrachten.

Alle Folgen auch in der ARD Mediathek.

Abdelkarim live auf Solotour:
Mit „Wir beruhigen uns“ ist er u.a. am 29.04.22 in Paderborn und am 22.05.22 in Bielefeld. Alle weiteren Termine auf www.abdelkarim.tv

Abdelkarims Podcast: www.nichnichnich.de

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